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Ein Brief vom deutschen WM '54 Co-Trainer Albert Sing

10. Dezember 2017


Einen ganz besonderen Brief mit bewegenden Worten des Co-Trainers der deutschen Nationalmannschaft während der WM 1954 erhielt ich vor ziemlich genau zehn Jahren.

Am 4. Juli 1954 wurde die Deutsche Nationalmannschaft zum ersten Mal Weltmeister. Es war das Wunder von Bern! Auch wenn der Gewinn der Weltmeisterschaft in der Schweiz lange vor meiner Zeit lag, ich war immer ein Bewunderer der Herberger-Elf rund um die großen Spieler wie Fritz Walter, den Boss Helmut Rahn oder aber Horst Eckel. "Der Geist von Spiez" ließ ein Wunder geschehen, die bisher unschlagbar scheinende ungarische Elf konnte im Finale in Bern besiegt werden! Im Rahmen meiner Sammelleidenschaft für die Autogramme deutscher Nationalspieler schrieb ich im Jahr 2007 den Assistenztrainer der deutschen Elf an. Albert Sing absolvierte zwischen 1940 und 1942 selbst neun A-Länderspiele und war während der WM 1954 "Mädchen für alles" für Trainer Sepp Herberger. Er war es auch, welcher das Mannschaftsquartier der deutschen Elf auswählte. Ich schickte einen Brief und fragte nach einer Signatur, zurück erhielt ich zu meiner großen Verwunderung dieses Schreiben. Fehler bei der Abschrift vorbehalten.


"Cureglia-Lugano, 17. November 2007


Lieber Sportfreund Thomas!


Es gibt sicher kein Fußballspiel wie das Endspiel um die Weltmeisterschaft 1954 in Bern zwischen Deutschland und Ungarn, die das Leben einer ganzen Nation veränderte. 1942 im November war das letzte Länderspiel das ich selbst noch mitspielte und dann wurde der totale Krieg verkündet.

Das nächste Länderspiel fand acht Jahre später in Stuttgart gegen die Schweiz statt. Was wir damals in Deutschland erlebten, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich selbst wurde am 21. März 1945 bei Saarbrücken im Morgengrauen von einem amerikanischen Panzer zusammengeschossen. Zehn Bauchschüsse, Darmdurchschuss und Blasendurchschuss und anschließend noch nach dem Krieg sechs Monate in einem amerikanischen Lazarett zusammen geflickt. Bereits im März 1946 spielte ich wieder mit den Stuttgarter Kickers. Als das erste Länderspiel gegen die Schweiz in Stuttgart statt fand, war ich schon in der Schweiz in Schaffhausen als Spielertrainer tätig. Ab 1951 war ich Spielertrainer bei Young-Boys Bern. Als 1954 die WM in der Schweiz gespielt wurde, war ich schon drei Jahre in der Schweiz und kannte mich gut aus.


Ohne Auftrag habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wo wohl die 16 Mannschaften in der Schweiz wohnen und trainieren würden. 1952 fand in der Schweiz die Weltmeisterschaft im Feldhandball statt, das Deutschland gewann. Ich kannte Dr. Kaiser gut, der damals Generalsekretär des Schweizer Fußball war. Ich fragte ihn, wo wohl die 16 Mannschaften wohnen würden.


Er sagte mir, dass er vom Handballverband die Quartierliste erhalten hätte und dass die Mannschaften dort platziert werden. Wieder ohne Auftrag habe ich mir die Quartiere angeschaut und kam zur Überzeugung, dass das für Herberger kein Quartier war.


Dann hab ich Herberger angerufen und ihm angeboten, für ihn ein Quartier zu suchen, sofern er seine Spiele der Ausscheidung gegen Norwegen und Saarland gewinnen würde. Es kam dann alles so wie herbeigesehnt. Herberger gewann die Spiele und ich suchte das Quartier.


Herberger machte mich dann zu seinem Assistenten. Ich wohnte bei der Weltmeisterschaft mit Herberger im gleichen Zimmer und war Mädchen für alles. Dass Deutschland Weltmeister werden würde hat wohl niemand geglaubt. Herberger hatte in den Jahren 52-53 eine Mannschaft erstellt, die in der Hauptsache Spieler aus Kaiserslautern enthielt.


Nun fand aber vier Wochen vor der Weltmeisterschaft das Endspiel um die deutsche Meisterschaft statt, zwischen Hannover und Kaiserslautern. Dieses Spiel gewann Hannover mit 5:1 und das war für Herberger eine Katastrophe, spielten bei Kaiserslautern doch fünf Nationalspieler und kein einziger aus Hannover. Herberger wurde damals von der Presse stark angegriffen. Und als dann Deutschland bei der WM gegen Ungarn 8:3 das Ausscheidungsspiel verlor, wurde Herberger noch mehr angegriffen.


Und Deutschland wurde dann doch Weltmeister. Sicher habe ich meinen Teil dazu beigetragen. Ich habe Herberger manchen guten Rat geben können. Vor allem vier Wochen vor der WM wurde das Stadion von YB Bern eingeweiht. Mit dem Spiel YB Bern gegen Ungarn. Ich habe in diesem Spiel bei YB selbst mitgespielt als Libero, und da konnte ich die Ungarn gut studieren. Anscheinend haben meine Ratschläge doch genützt.


Soviel für heute. Ich wünsche Ihnen alles Gute und grüße Sie herzlich


Ihr Albert Sing"


Albert Sing verstarb neun Monate später im Alter von 91 Jahren. In diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Ich hatte es verpasst ihm zu antworten und mich zu bedanken! Mein schlechtes Gewissen hatte mich daher geplagt. Albert hat seinen Teil beigetragen zum legendären Wunder von Bern!




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